Ich hatte mit Neuseeland ja noch eine Rechnung offen aus dem Jahr 2007, die ich dieses Mal begleichen wollte…

Damals wollten Frauke und ich unbedingt den Copland Track laufen, der durch herrliche Wälder hinauf zur wunderschönen Welcome Flat geht, hinter der sich heiße Quellen zum Baden befinden. Wir sind den Track damals auch gelaufen, kamen aber nie oben an. Was uns geritten hat damals bei beginnendem Nieselregen in den Track einzusteigen kann ich heute auch nicht mehr nachvollziehen.

Auf jeden Fall ging der Track entlang eines Flusses stetig bergan und es gab immer wieder kleinere Bächlein, die den Berghang hinunterstürzten und die es zu überqueren galt. Leider wurde damals aus dem Nieselregen Regen und dann starker Regen, so dass aus den Bächlein Bäche und später reißende Sturzbäche wurden. Das Überqueren wurde immer schwieriger, denn es war die Gefahr, dass man einfach ins Tal gespült wurde. Nichtsdestotrotz hatten wir es bis ca. 1 km vor die Hütte geschafft, hatten also schon 17 km in den Beinen und sahen uns schon in den heißen Quellen von der Anstrengung erholen. Leider kam es anders. Keine 5 Minuten später kamen uns 13 Leute entgegen, die uns klarmachten, dass sie nun geraume Zeit versucht hätten den letzten Fluss zu überqueren, dies aber definitiv nicht mehr möglich wäre. Das gab lange Gesichter auf unserer Seite und die Frage war: was nun.

Es war inzwischen kalt, spät, sehr nass und die Laune war auf dem Allzeittief. Gemeinsam mit den anderen Gescheiterten beschlossen wir den Rückweg anzutreten mit dem Ziel zu der kleinen Architect Creek Hut zu kommen, die ca. 7km talwärts lag, was wir vor Einbruch der Dunkelheit noch schaffen sollten. Die kleinen Bäche vom Vormittag waren inzwischen auch stark angestiegen, so dass wir uns immer zu einer Kette mit den Armen einhakten und so die Bäche überquerten, damit keiner ins Tal gespült wurde. Die Schuhe standen eh schon unter Wasser, so dass das wenigstens keinen mehr stresste. Durch die gegenseitige Unterhaltung und das gemeinsame Schicksal, konnten wir der Situation sogar etwas Spaß abgewinnen, vor allem mit der Aussicht auf eine trockene Bleibe für die Nacht.

Wir kamen dann auch kurz vor Einbruch der Dunkelheit ziemlich platt nach 24 Kilometer Marsch bei der Hütte an. Die Hütte hatte ein Stockbett und davor circa vier Quadratmeter Platz, so dass die Nacht recht beengt war. Vier bis fünf Personen schliefen jeweils sitzend auf je einem Stockbett und der Rest irgendwie auf dem Boden.

Am nächsten Tag schien morgens wieder die Sonne, aber auf einen erneuten Aufstieg hatte keiner mehr Lust. Alle sind die letzten 10 km aus dem Tal marschiert. Unterwegs haben wir noch einige getroffen, die im Wald mit Zelt übernachtet hatten, denn der letzte Fluss vor dem Parkplatz war tags zuvor auch unpassierbar geworden. Es war im Nachhinein ein tolles Abenteuer, aber eben auch eine unvollendete Tour, die jetzt 13 Jahre auf ihre Vollendung warten musste.

Dieses Mal konnte die Tour wegen der Kinder nur einer von uns machen und da gab Frauke mir den Vorzug. Kira hatte am Tag zuvor einen Rückzieher gemacht und wollte mich nicht begleiten. Die Wetteraussichten für die kommenden zwei Tage waren perfekt, so dass dem Unternehmen nichts mehr im Wege stand und die Chancen bei der Hütte anzukommen deutlich besser waren. Per Zufall hatte Frauke bei einer kleinen Nachmittagsrunde unterhalb des Fox Galciers Lisa kennengelernt und im Gespräch stellte sich heraus, dass sie am nächsten Tag auch den Copland Track laufen wollte. Somit hatte Frauke für mich eine, wie sich herausstellen sollte, sehr angenehme Wanderpartnerin gefunden.

Es ging bei Sonnenschein und blauem Himmel los, aber auch dieses Mal stellte Lisa und mich der Track in den ersten fünf Minuten auf die Probe, denn durch die mächtigen Regenfälle der letzten Wochen war der Bach, den es zu überqueren galt, 40 Meter breit und es lagen einfach keine Steine so geschickt, um trockenen Fußes hinüberzukommen. Wir suchten recht lang nach einer passenden Stelle, um den Bach zu überqueren, aber nach 40 Minuten zogen wir dann doch die Schuhe aus und gingen barfuß durch. Das Wasser war eisig kalt. Wir kamen auf der anderen Seite mit gefühllosen Füßen an, aber dafür fühlten wir auch das Jucken der unzähligen Sandfly Bisse nicht mehr. Quid pro quo. Für die ersten 200 Meter Weg hatten wir jetzt also 45 Minuten gebraucht, wenn das so weiter gegangen wäre, wäre es ein langer Tag geworden. Aber zum Glück ging es von jetzt an flott voran.

Obwohl der Track die meiste Zeit durch den Wald geht war er unheimlich spektakulär. Immer wieder Wasser: in Tümpeln, kleinen Bächlein (und diesen Mal blieben sie klein) und 20 Meter hohen Mooswänden von denen es nur so tropfte. Riesige Farne und mit Moos und Flechten bewachsene Bäume wechselten sich mit dichtem Buschwerk ab. Überhaupt änderte sich die Vegetation ständig. Manchmal mussten wir durch enge hüft- bis schulterhohe Gräben laufen, dann wieder am Flussufer entlang und immer war der Blick auf den Boden gerichtet, denn es gab kaum ein Stück Weg an dem es nicht dicke Steine, Äste, Wurzeln oder anderes Stolperfallen gab. Die größeren Flüsse, die mit viel Getöse talabwärts stürzten, waren mit soliden Brücken überbaut und die zwei größten Flüsse mit Hängebrücken. Die letzte der zwei forderte von mir schon einiges an Konzentration, um mich von der Höhe und der Weite nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Nur nicht nach unten schauen. Zwischen dem dichten Wald boten sich immer wieder Ausblicke in ein herrliches Tal mit reißendem Gletscherfluss und je weiter unser Weg der Hütte entgegenging, desto rauer aber auch aufregender wurde das Bergpanorama mit Blick auf die ersten Gletscher und endlos lange Wasserfälle, die sich in schmalen Rinnen bis in den Gletscherfluss stürzten

Durch die starken Regenfälle der letzten Monate in dieser Gegend sind an vielen Stellen auch schon einige Hänge abgerutscht und auch auf unserer Tour konnten wir teils große Risse im Boden sehen, die uns Respekt einflößten. Die Landschaft ist in stetem Wandel.

Es ist ja spannend mit jemanden eine Wanderung zu starten, von dem man am Startpunkt lediglich den Namen kennt. Man weiß nicht, ob man nach 10 Minuten denkt: „Wäre ich doch lieber alleine gelaufen.“ Aber es hat unheimlichen Spaß gemacht Lisa während diesen zwei Tagen kennenzulernen und wir haben quasi dauerquasselnd den Tag verbracht und mussten uns hin und wieder gegenseitig erinnern, doch mal innezuhalten und die Natur zu genießen. Wir haben über Gott und die Welt philosophiert und uns als Hobby-Geologen versucht, um mit geballtem Halbwissen diverse Naturphänomene zu erschließen. Für mich war sie eine tolle Wanderpartnerin. Danke Lisa.

Am späten Nachmittag kamen wir dann endlich bei der unheimlich schönen Welcome Flat an und da musste ich die Arme in die Luft reißen: Vollendet!

Nach kurzer Verschnaufpause und dem Sichern eines guten Platzes im Lager ging es natürlich sofort in den heißen Pool. Die Pools waren unterschiedlich heiß und der Boden war mit türkisfarbenem Schlamm bedeckt. Im ersten Moment ein komisches Gefühl in diesen Schmodder zu steigen, aber dann im warmen Wasser zu sitzen, auf die mit Gletschern bedeckten Berge zu schauen war einfach der Hammer, da konnte ich sogar die Sandflies ausblenden, die versuchten die Körperteile oberhalb des Wassers aufzufressen.

Da die Hütte mit 31 Plätzen recht klein war kam am Abend eine angenehme, private Atmosphäre auf. Zum Glück gab es keinen Strom und es brannten nur Kerzen was dem Abend dann noch eine romanische Komponente gab. Mit einem bilderbuchartigen Sonnenuntergang und sich rötlich färbenden Gletschern wurde ich dann doch mehr als entschädigt für das Drama vor 13 Jahren. Glücklich und zufrieden kuschelte ich mich dann in den Schlafsack. Nur schade, dass ich die Tour nicht mit Frauke gemeinsam machen konnte.

Tags drauf ging es dann den gleichen Weg zurück und Frauke, Kira und Nele holten mich am Startpunkt wieder ab. Am Startpunkt sahen wir dann auch das Schild, dass der Track von nun an wieder wegen den zu erwartenden starken Regenfällen gesperrt ist. Glück gehabt mit unserem Timing. Hier trennte sich dann auch der Weg wieder von Lisa, denn sie trampte nach Norden an den Fox Glacier zurück und wir fuhren Richtung Süden nach Haast weiter.